Es war die sechste gemeinsame Veranstaltung mit Sophia Linhart von der Fach- und Koordinierungsstelle Suchtprävention Sachsen, der Kompetenz- und Beratungsstelle (KBS) und den Kitasozialarbeiter*innen aus den ESF-Programm-Kitas. Fast könnte man meinen, dass in ihren klaren Worten Suchtpotential steckt. In den Online-Seminaren schafft es die Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Beraterin und Supervisorin, das Thema Sucht aus der Ecke des Unansprechbaren zu holen, mit Halbwissen aufzuräumen, Theorie und Praxis zu verbinden und mit viel Raum für Fragen Handlungsempfehlungen für den Kita-Alltag mitzugeben.
Themenreihe Sucht
Im zweiten Quartal 2021 startete die KBS mit Sophia Linhart zum Themenkomplex Sucht die erste Seminarreihe Systemische Unterstützung suchtbelasteter Familien im Kita-Bereich. Hier ging es vordergründig darum, Handlungssicherheit im Umgang mit betroffenen Kindern und suchtbelasteten Eltern zu erwerben und die Thematik Suchtbelastung im Kita-Alltag zu erkennen.
Am 05. und 28. Oktober 2021 und am 03. März 2022 konnten zahlreiche Kitasozialarbeiter*innen im Online-Seminar ANGESPROCHEN – Elterngespräche im Kontext suchtbelasteter Familien das Thema vertiefen. Behandelt wurden Suchtentstehung und -hilfesysteme, Kommunikationsmuster im Suchtsystem, Leitfaden für Elterngespräche und Grenzen dieser sowie Reflexion der eigenen Rolle als Fachkraft. In enger Absprache mit der KBS entwickelte Sophia Linhart eigens für KINDER STÄRKEN diese Seminarreihe. In Folge wird diese nun im Rahmen der Arbeit der Fach- und Koordinierungsstelle Suchtprävention Sachsen (SLS e. V.) sachsenweit geboten.
© SLfG e. V.
Warum Sucht kontinuierlich Worte braucht
Mit den Seminarangeboten soll neben der Erweiterung der fachlichen Kompetenz auch ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Thema geschaffen werden. Zu jedem Elternteil mit einer Suchterkrankung gibt es Kinder. Die Corona-Pandemie hat die Belastungen der in Suchtfamilien lebenden Kinder noch verstärkt. Gleichzeitig haben suchtbetroffene Eltern oder Angehörige durch den Wegfall gewohnter alltagssichernder Strukturen seit März 2020 zusätzlich Erschwernisse erlebt. Das Thema Sucht ist aktueller denn je und die Seminare sollen den Kitasozialarbeiter*innen aus dem Programm KINDER STÄRKEN eine differenzierte und fachlich fundierte Basis geben, um familiäre Suchtbelastungen zu erkennen und angemessen reagieren zu können.
6 Jahre süchtig und keine*r merkt es
Zu Seminarbeginn benannte Sophia Linhart Sucht als eine anerkannte Erkrankung. Abhängig wird man vor allem von dem Gefühl, das die Substanz auslöst. Dabei spricht man von einer psychischen Abhängigkeit. Hinzu kommen bei einigen Substanzen wie bspw. Alkohol, Opiaten, bestimmten Medikamenten aber auch Nikotin körperliche Abhängigkeit(ssymptome). In Sachsen sind Alkoholerkrankungen und der Konsum von Crystal-Meth die häufigsten Belastungen suchtbetroffener Familien.
Der im Seminar gezeigte Kurzfilm Aufgeputscht nahm die Teilnehmenden mit in das Leben eines suchtkranken Vaters und fing seine Reflexionen von den Anfängen seiner Abhängigkeit und seinem Weg aus der Sucht ein. Beschrieben wurde seine Verwunderung, dass in der sechsjährigen Phase seines Konsums dieser nicht aufgefallen wäre, er nie darauf angesprochen wurde. Ein Ansprechen durch Freunde oder Kolleg*innen hätte vielleicht einen zeitigeren Ausstieg aus der Sucht bedeuten können.
Sucht bei Eltern kommunizieren
Und das war eine der Hauptaussagen des Seminars: alles was wahrgenommen wird, sollte ANGESPROCHEN werden. Es gibt kein „zu frühes“ ansprechen. Ungünstige Veränderungen bei Kindern und Eltern bzw. die Vernachlässigung elterlicher Pflichten sollten mit einer sensiblen Ansprache gegenüber den Eltern thematisiert werden (Mir ist aufgefallen, dass …/Ich nehme diese und jene Veränderungen wahr. Wie kann ich sie unterstützen?). Dabei gilt es für die beratende Person, also auch für die ESF-Programmfachkräfte und andere Personen in der Kita, eigene Unsicherheiten und Hemmungen zu überwinden. Sophia Linhart wies darauf hin, dass Sucht nach wie vor ein sensibles und schambehaftetes Thema ist. Das Ansprechen ist ein erster wichtiger Schritt und das Endtabuisieren schafft Veränderung innerhalb der Einrichtung und der Familie. Und auch falls betroffene Eltern es zunächst leugnen, vermittelt die Kita damit die Botschaft, dass Problematiken wahrgenommen werden. Eine frühe Intervention verkürzt häufig den Beratungsprozess. Dabei bedarf es kein großes Fachwissen über legale oder illegale Substanzen oder wann welche Drogen konsumiert werden. Es geht nicht darum, Indizien zu sammeln, Diagnosen zu äußern oder eine Suchtberatung/Therapie vorzunehmen – dies ist Aufgabe der Fachleute in Beratungsstellen und Therapieeinrichtungen. Es geht darum, zu thematisieren was gesehen wird und gegebenenfalls Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In der Rolle als Kitasozialarbeiter*in liegt die Verantwortung darin, zu schauen, ob es dem Kind gut geht und die Elternschaft und elterlichen Pflichten gut ausgeübt werden können.
© Sophia Linhart
Gute Gesprächsführung als Ressource
Sophia Linhart versteht es, eine gute Handlungssicherheit zu geben, indem sie zwischen Fürsorge- und Klärungsgespräch sowie Gesprächsführung zu Kindeswohlgefährdung unterscheidet und Regeln einer movierenden Gesprächsführung aufzeigt. Sie benennt konkret, wie eine Gesprächssituation ablaufen kann und welche Formulierungen hilfreich sind. Es ist wichtig, so klar wie möglich zu formulieren, ohne unter Druck zu setzen oder in Konfrontation zu gehen und die Eltern immer wieder ins Gespräch einzubeziehen. Und immer sollte im Blick behalten werden: Auch suchmittelerkrankte Eltern wollen gute Eltern sein und Suchtmittelkonsum allein begründet keine akute Kindeswohlgefährdung.
Im Seminar wurden Kommunikationsmuster nach Virginia Satir und vier Kommunikationstypen vorgestellt. Dies kann helfen zu erkennen und zu reflektieren, zu welchem Kommunikationstyp die beratende Person selbst gehört und wie dies mit dem Gegenüber korrespondiert. Zur Vertiefung spielten die Teilnehmenden in Kleingruppen Elterngespräche mit den verschiedenen Typen durch. In der Praxis hilft das, Personen im Elterngespräch gut gegenüberzutreten, Gespräche auf Augenhöhe zu führen und eine Win-Win-Situation zu schaffen. Prinzipiell sind regelmäßige Gespräche mit Eltern zu empfehlen, um Beziehungen aufzubauen. In kurzer Zeit lernt man gut einzuschätzen, mit welchem Kommunikationstyp man es zu tun hat und kann gewisse Regeln einhalten und einen bestimmten Ablauf und Methoden anwenden.
Wenn Worte nicht auf Empfang treffen – Widerstand & Grenzen
Darüber hinaus thematisierte die Referentin den Umgang mit Widerstand (Was mache ich, wenn Fälle sehr schwierig sind bzw. eskalieren? Was könnte den Widerstand ausgelöst haben?) und Grenzen der Beratung (Berauscht im Gespräch; Absichtslosigkeit der Eltern). In Kleingruppen tauschten sich die Teilnehmenden zu ihren Erfahrungen mit Widerstand in der Beratungsarbeit aus.
Zum Schluss
Mit dem Ausblick auf zur Verfügungstellung eines umfangreichen Informationsmaterials für die Teilnehmenden ging das Seminar nach je intensiven sechs Stunden zu Ende. Wir danken Sophia Linhart für die gemeinsamen Veranstaltungen und ebenso den Teilnehmenden für das Interesse und die Mitwirkung.
Weiterführende Informationen
Fach- und Koordinierungsstelle Suchtprävention Sachsen – Suchtbelastete Familien
Filmbeitrag Aufgeputscht: Wenn die Verantwortung für Beruf & Familie zu groß wird
Broschüre ALLES TOTAL GEHEIM
Kapitel Gespräche mit Eltern, Seite 28ff.
Begleitheft zur Broschüre Mia, Mats und Moritz … . Anleitung für Fachkräfte und Ehrenamtliche im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen sowie für Angehörige zum Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern
Kapitel Mit den Eltern sprechen, Seite 18ff.
Leitfaden zur Unterstützung für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Grundlagen und Interventionsmöglichkeiten
Kapitel Gespräche mit Eltern, Seite 16 & 22f.
Broschüre Kinder aus suchtbelasteten Familien
NACOA Deutschland – Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e. V.
Hier u. a.: Infos für Profis in Kita und Schule