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Sternstunden, Partizipation, Verkehrserziehung und Corona

Zebrastreifen - Max Tarkhov/Unsplash

Alles begann mit einem Gruppenausflug. Kind S. fiel es schwer, bei der Gruppe zu bleiben und sich sicher im Straßenverkehr zu verhalten. Er blieb stehen oder ging einfach auf die Straße zu. Für die Erzieher*innen im Gruppenkontext eine schwer einzuschätzende Situation, zumal sich für S. als zukünftigen Schulanfänger bald ganz anderen Herausforderungen ergeben würden.

Aus Beobachtungen, Gesprächen mit den Eltern von S. und verschiedenen Interaktionen mit dem sechsjährigen Jungen war bekannt, dass dieser selten als Fußgänger am Straßenverkehr teilnimmt und zuhause sehr gern Videospiele spielt, die teilweise nicht altersangemessen sind. In der Kita fiel es ihm oft schwer, sich ins Spiel mit anderen Kindern zu vertiefen und auch hier forderte er die Erzieher*innen immer wieder durch sein Verhalten heraus. S. mag gern Actionhelden, wie die Avengers und genießt 1:1 Situationen mit Erwachsenen. Neben der sozial-emotionalen Integration in der Kita erhält er Ergotherapie zur Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit.

Und S. spielt gern Fußball. So entstand die Idee, ihn gezielt im Kleingruppenkontext im Bereich Verkehrssicherheit und Sozialverhalten zu fördern. Über eine Befragung des Teams fanden sich auch andere Kinder, die durch unsicheres Verhalten bei Ausflügen aufgefallen waren. Sie alle wurden über einen Brief zu einem ganz besonderen Projekt eingeladen: Verkehr und Fußball:

Liebe / Lieber ..,
hast Du Lust einen Fußgängerführerschein zu machen?
Wir, also Stephanie und ich, würden aller zwei Wochen mit Dir und einigen anderen Kindern zur „Arena“ gehen und dabei die wichtigsten Verkehrsregeln üben.
Am Freizeittreff Arena ist dann Spielzeit. Pünktlich zum Mittagessen bist Du wieder in deiner Gruppe.
Wenn Du regelmäßig teilnimmst, bekommst Du nach zehn Mal einen Fußgängerführerschein.
Bitte sag mir oder Stephanie bis zum 15.10.2020 Bescheid, ob Du mitmachen magst.
Viele Grüße,
Manu

Die Eltern wurden zeitgleich ebenfalls per Brief informiert (Kasten unten). Fast alle eingeladenen Kinder hatten Lust und so konnten wir Mitte Oktober mit sogar zwei kleinen Gruppen zu je ca. sieben Kindern starten. Da wir bemüht waren, die Kinder nach Entwicklungsstand einzuteilen, waren in der Gruppe von S. fast ausschließlich Vorschüler.

Liebe Familie,
im Rahmen der „Sternstunden für Kinder“ werde ich ab 16.10.2020 ein ganz besonderes Projekt für zunächst einzelne Kinder anbieten:
Wir werden gemeinsam einen „Fußgängerführerschein“ ablegen. Dazu wollen wir immer freitags im vierzehntägigen Rhythmus zur Fröbel Arena laufen und auf dem Weg verschiedene Herausforderungen des Fußgängerdaseins meistern (Zebrastreifen, Fußgängerampel, Einfahrten, Überqueren von Straßen ohne Ampel, Verkehrszeichen, etc.). An der Fröbel-Arena können wir dann den Fußballplatz oder andere Außenspielmöglichkeiten nutzen.
Die Kinder erhalten eine Teilnehmerkarte, auf der jeweils abgestempelt wird. Nach 10 Einheiten werden sie eine kleine „Prüfung“ ablegen und den „Fußgängerführerschein“ erhalten.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Manuela Steinbach

Und dann starteten wir zum ersten Ausflug. Gemeinsam mit der zusätzlichen Fachkraft für sprachliche Bildung, Stephanie Czekalla, machten wir uns auf den Weg – übten das Überqueren von Straßen, das Verhalten auf dem Fußweg und auch die Verkehrszeichen. Dabei war für die Kinder jedes Zeichen von großem Interesse, also auch Straßenbeschilderungen oder Parkplatzkennzeichnungen. Es entstanden viele wundervolle kleine Gespräche. Die Kinder begeisterten sich auch für die Spielplätze, an denen wir unterwegs vorbei kamen. So wurde das eigentliche Ziel – der Fußballplatz des Freizeittreffs – oft zur Nebensache. Aber auch das Kicken auf Tore kam natürlich nicht zu kurz. So wurden die gemeinsamen Ausflüge zu einer bunten Mischung aus motorischer, kognitiver, sozial-emotionaler und Sprachförderung. Ganz nebenbei lernten wir die Kinder, ihre Interessen sowie ihre Fähigkeiten besser kennen und konnten individuell in Gesprächen und kleinen Aktionen darauf eingehen.


Im verkehrsberuhigten Bereich sind spielende Kinder erlaubt – Verkehrszeichen kennenlernen | Foto © Manuela Steinbach

Mit dem neuerlichen Corona-Lockdown wurde das Projekt abrupt unterbrochen. Aber dank der bereits vorhandenen digitalen Möglichkeiten konnten die Kinder dennoch erreicht werden und erhielten ein Quiz zum Thema Verhalten im Straßenverkehr sowie ein Bastelset für Verkehrszeichen.

Innerhalb weniger Tage erreichten uns Fotos der fertigen Werke und wir konnten den Kindern den heiß ersehnten Fußgängerführerschein ausstellen. Dazu gab es einen Fußball-Flummi als kleines Andenken.


Verkehrsicherheit spielend erfahren | Foto © Manuela Steinbach

Und S.? Er zeigt inzwischen ein altersgemäßes Verhalten im Straßenverkehr und nimmt sicher an Ausflügen in der Kindergruppe teil.

Manuela Steinbach | FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Kulkwitzer See, Leipzig
– April 2021 –

Zwischen Elterngesprächen, Sternstunden und kleinen und großen Sorgen

Stern (c) Fröbel eV Kita Kulki

Nadine Troschke, Sozialarbeiterin im FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Kulkwitzer See, gibt einen Einblick in ihren Alltag als Kitasozialarbeiterin

Elternsprechstunde – Vertrauen gewinnen und gezielt unterstützen

„Das ist Frau Troschke, sie ist unsere Sozialarbeiterin und Familienbegleiterin, die Eltern bei Anliegen und Behördengängen unterstützt und ihnen bei Erziehungsfragen den Rücken stärkt“, stellt mich meine Kollegin, Erzieherin im Kulki, im Elterngespräch vor. Wie in vielen anderen Gesprächen sprechen die Bezugserzieherin und ich mit den Eltern über den Entwicklungsstand ihres Kindes und geben ihnen Hinweise über geeignete Förderangebote mit auf dem Weg.

Als zusätzliche Kraft mit sozialpädagogischem Hintergrund kann ich Eltern bei den vielfältigen Erziehungsaufgaben, die auf sie zukommen, intensiver und umfassender unterstützen, als die Erzieher*innen dies leisten könnten. Wenn Eltern es wünschen, bin ich ihnen behilflich bei behördlichen Angelegenheiten, rege die Kontaktaufnahme zu geeigneten Stellen an und kann sie in Einzelfällen zu den jeweiligen Institutionen begleiten. Natürlich braucht es oftmals Zeit, bis Eltern Vertrauen zu mir aufgebaut haben – und sie die Erfahrung gemacht haben, dass ich nicht „das Jugendamt“ bin, von dem manche befürchten, dass es ihnen „ihr Kind wegnimmt“.

Das Angebot der Elternsprechstunde ist kostenlos und kann bei Bedarf auch anonym in Anspruch genommen werden. Ich verfolge mit den Gesprächen den systemischen Ansatz: niederschwelllig, präventiv und vor allem freiwillig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Eltern, wenn sie einmal Vertrauen zu mir gefasst haben, regelmäßig meinen Rat suchen. Die Rückmeldungen sind sehr gut. So bedankte sich ein Vater bei der Verabschiedung bei mir mit den Worten, er sei froh, hier einen geschützten Rahmen gefunden zu haben, um über Schwierigkeiten in der Familie auf einer Vertrauensbasis sprechen zu können.

„Sternstunden“  individuelles Förderangebot für Kleingruppen und einzelne Kinder

Drei Jungen hatte ich versprochen, mit ihnen zu beratschlagen, was wir in den nächsten Wochen gemeinsam bauen möchten. Nach dem Elterngespräch ist es soweit. Gemeinsam stimmen wir ab, uns dem Projekt „Murmelbahn“ zu widmen – sie können es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen.

Die Jungen sind drei von insgesamt 15 Kindern, mit denen ich mindestens einmal in der Woche etwas zusammen unternehme. In den „Sternstunden“, so nenne ich die gemeinsame Zeit, bereite ich meist ein individuelles Angebot vor, das auf die Stärken des jeweiligen Kindes abzielt.  Am spannendsten ist es für mich jedoch, gemeinsam mit den Kindern auf Entdeckungstour zu gehen, und dabei ihre Interessen wahrzunehmen und die Welt mit den Augen der Kinder wahrzunehmen. Unsere Einrichtung ist ein Integrationskindergarten, und so gibt es mehr Kinder, die von einer zusätzlichen Förderung ihrer Entwicklung profitieren würden, als ich Kapazitäten habe.

Austausch mit Kindern und Kolleg*innen beim Mittagessen

Um im stetigen Austausch mit den Kindern und Kolleg*innen zu bleiben, bemühe ich mich, tagsüber so oft wie möglich in den Gruppen zu sein. Die Mittagszeit ist zum Beispiel eine sehr gute Gelegenheit, um Einblicke in die aktuellen Themen der Kinder zu bekommen oder zu erfahren, wo ich Kolleg*innen unterstützen kann. Beim Mittagessen kann ich mit ihnen direkt in einen ungezwungenen Austausch gehen – das ist eine wichtige Basis für meine Arbeit.

Netzwerke pflegen und ausbauen

Anschließend wartet Arbeit an meinem Schreibtisch auf mich. Hier führe ich Telefonate und erledige Schriftverkehr und Dokumentationen. Darüber hinaus nehmen der Ausbau und die Pflege unseres Netzwerks einen bedeutenden Platz in meiner Arbeit ein. Dazu zählen Kinderärzt*innen, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Kinderpsycholog*innen, das Jugendamt, die Familienhilfe und Frühförderstellen, aber auch Kooperationspartner für pädagogische Angebote wie das Gewandhaus zu Leipzig. Mir steht dafür ein Arbeitsplatz in unserem Büro, das von den Erzieher*innen für die mittelbare pädagogische Arbeit genutzt wird, zur Verfügung. Auch die Eltern wissen inzwischen, dass sie mich dort finden, und nutzen meine Unterstützung gern auch spontan.

Dienstberatung – Raum für Reflexion und fachlichen Austausch

Am Ende des Tages steht, wie etwa alle sechs Wochen, eine Dienstberatung auf dem Plan, die uns im Team Raum gibt für Austausch und Reflexion. Für mich sind diese gemeinsamen Beratungen besonders wichtig, da ich gruppenübergreifend arbeite und der unmittelbare Austausch im Alltag dadurch nicht so gegeben ist wie in den Teams, die im Gruppendienst arbeiten. In den Dienstberatungen gebe ich meinen Kolleg*innen regelmäßig Einblicke in meine Arbeit und stelle ihnen Projekte vor, die sie in den pädagogischen Alltag integrieren können, z.B. das „Du & Ich“-Projekt über Gefühle, die Bewältigung von Konflikten und ein soziales Miteinander. Vereinzelt kommen Kolleg*innen auf mich zu, die sich Beratung zum Umgang mit einer neuen oder herausfordernden Situation wünschen – mit ihnen vereinbare ich einen individuellen Gesprächstermin.

Zum Schluss melden sich Kolleg*innen zu Wort mit der Frage, ob das Projekt weiter bewilligt werde. Für mich ist das ein sehr positives Signal – Sozialarbeiter*innen sind im Kindergarten bislang die Ausnahme, und offensichtlich hat das Team die Erfahrung gemacht, dass Sozialarbeit in der Kita eine wichtige Funktion einnehmen kann und alle davon profitieren.

Nadine Troschke | FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Kulkwitzer See, Leipzig
– Januar 2018 –